Rede gehalten von Mario Keller am Aktionstag Bildung, 15. Juni 2023
https://aktion-bildung.at/
Ich spreche hier heute am Aktionstag Bildung stellvertretend für die Initiative Unterbau Uni Wien bzw. Netzwerk Unterbau Wissenschaft (NUWiss). Wir beteiligen uns am Aktionstag Bildung, da es auch an den Hochschulen, wie in allen Bereichen des Bildungssystems in Österreich, riesige ungelöste Probleme gibt, mit denen wir jeden Tag aufs Neue zu kämpfen haben.
Wir haben uns letztes Jahr gegründet, weil wir die prekären und unsicheren Arbeitsbedingungen an den Universitäten endgültig satthaben. Diese waren schon seit langem nicht gut, sie haben sich jedoch 2021 mit der Novelle des Universitätsgesetztes noch einmal drastisch verschlechtert. Was meinen wir, wenn wir von „prekären Arbeitsbedingungen“ sprechen?
- Wir meinen damit, dass 80 % der Mitarbeiter:innen im Hochschulsektor, an der Uni Wien sind es sogar an die 90 %, nur befristete Verträge haben!
- Wir meinen damit, dass es aktuell an einer Universität eine maximale – lebenslange – befristete Anstellung für 8 Jahre (+4 Jahre für das Doktorat) gibt. Das bedeutete, dass de facto ca. alle 8 Jahre ein Großteil des Personals ausgetauscht wird!
- Wir meinen damit, dass eine Karriere im akademischen Bereich nur möglich ist, wenn man bereit ist, ständig mobil zu sein und permanent von Uni zu Uni bzw. von Land zu Land zu wechseln!
- Wir meinen damit, dass 42% der Lehre an der Uni Wien von so genannten „externen“ Lektor:innen übernommen wird, die einen Vertrag stets nur für ein Semester haben!
Hinter diesem System steckt der Glaube, dass nur mehr Druck, mehr Konkurrenz und Wettbewerb sowie permanente Mobilität bessere Wissenschaft hervorbringen würde. Dieser Glaube ist aber eben genau das, nämlich ein Glaube – manche würden auch sagen eine Ideologie. Tatsächlich gibt es mittlerweile dutzende empirische Studien die beweisen, dass diese Annahmen falsch sind, ja sogar, dass das Gegenteil der Fall ist. Nicht eine ständige Erhöhung des Drucks erzeugt Innovation, sondern (Planungs-)Sicherheit für Mitarbeiter:innen, langfristige, nachhaltige Strukturen sowie die Möglichkeit, experimentieren und auszuprobieren zu können, sind es, die echte Innovationen hervorbringen.
Was in diesem System auf der Strecke bleibt, sind einerseits unsere psychische Gesundheit und unser Familienleben, andererseits unsere Studierenden. Denn in diesem System wird gute, innovative und engagierte Lehre nicht belohnt, im Gegenteil: Wer sich intensiv um seine Studierenden kümmert, wer sich Zeit für Vorbereitung und Feedback nimmt, der:die hat schlichtweg weniger Zeit zu forschen, zu publizieren und vor allem weniger Zeit, weitere Drittmittel-Anträge zu schreiben (die dann ohnehin nur mit 20-prozentiger Wahrscheinlichkeit angenommen werden).
Dennoch gibt es selbstverständlich unzählige Lehrende, die viel Engagement zeigen und denen ihre Studierenden und die Qualität der Lehre am Herzen liegt. Leider spielt Qualität in diesem System jedoch kaum eine Rolle. Was zählt, ist vor allem Quantität. In diesem Fall ist es die Menge der „prüfungsaktiven Studierenden“, anhand derer unter anderem das Budget der Uni Wien bemessen wird.
Was somit aktuell passiert, ist, dass in diesem Wettbewerbs- und auf reine Kennzahlen fixierten System die Einheit von Forschung und Lehre auf der Strecke bleibt. Genau dieses Zusammendenken von Forschung und Lehre war jedoch bisher das Alleinstellungsmerkmal und Erfolgsmodell von Universität. Lehrveranstaltungen sind dann spannend, wenn dort aktuelle Forschungen diskutiert werden und Forschende die Fragen, die sie aktuell beschäftigen, mit den Studierenden diskutieren können. Diese Diskussionen mit Studierenden wirken dann wiederum zurück auf unsere Forschung und bringen somit auch den Forschenden etwas.
Was wir fordern, ist daher unter anderem:
- Forschung und Lehre sind nicht zu trennen!
- Solidarität satt Konkurrenz!
- Mehr Mitbestimmung und Demokratie an den Unis!
- Langfristige und nachhaltige Personalstrukturen!
Die gemeinsamen Interessenslagen österreichischer Bildungsarbeiter:innen
Ich möchte jetzt noch in Kürze darauf zu sprechen kommen, was uns Bildungarbeiter:innen hier heute auf dieser Demonstration eint. Meiner Meinung nach ist zuallererst das enorme und oft erdrückende Desinteresse der österreichischen Politik am Bildungswesen. Besonders deutlich wurde das für mich persönlich bei der Veranstaltung „Frag den Minister“ des „Kurier“ mit Minister Martin Pollaschek diesen März, bei der vielleicht auch der eine oder die andere von euch anwesend war. Der Saal war damals voll mit wirklich wütenden Bildungsarbeiter:innen aus allen Bereichen, von Kindergärten und Schulen bis hin zu Unis, die sich Antworten erhofft haben.
Das einzige, das wir jedoch in Erfahrung bringen konnten, ist, dass Bildungsminister in Österreich zu sein offenbar ein recht entspannter Job ist: Denn wie es scheint, ist dieser für nichts zuständig. Auf so gut wie jede Frage kam die Replik des Ministers: „… also dafür bin ich nicht zuständig, das liegt nicht in meinem Verantwortungsbereich.“ Im Fall der Schulen findet dieses Blame-Game zwischen Bund und Ländern statt, im Fall der Universitäten zwischen Rektoraten und Ministerium. Es zeigt sich darin das zentrale strukturelle Problem unseres Bildungssystems: NIEMAND übernimmt Verantwortung, NIEMAND traut sich, Schritte in Richtung nachhaltiger und längst überfälliger struktureller Reformen zu setzen.
Das Werkl am Laufen halten jedoch WIR Bildungarbeiter:innen mit unserem Engagement und unserer Leidenschaft für den Beruf. Diese intrinsische Motivation wird aktuell schamlos ausgenutzt. Eine Situation, die wir nicht länger hinnehmen werden, denn UNS REICHT’S!